Sonntag, 10. Februar 2013

Geist, fahr ein in mich!

Eines der wenigen wirklich faszinierenden Bilder in WENN DIE ABENDGLOCKEN LÄUTEN (Alfred Braun, 1951), einem muffigen - wie Silvia Szymanski passend bemerkte - "Ultraverzichtfilm". Hans Holt, der sterile Halbgott des Miefs (ich kenne ihn sonst nur aus einem weiteren Film, ICH WERDE DICH AUF HÄNDEN TRAGEN - das Unbehagen, welches er mir dort versetzte, ist hängengeblieben), dieses so asexuelle und leidenschaftslose Wesen, sitzt am Klavier und starrt - ja, ins Nichts, ins Blaue, an der Kamera vorbei? Ins Nichts, denke ich. Er starrt, völlig weggetreten, und wie von geheimnisvollen Mächten angetrieben und losgelöst von diesem Kopf, der so ausdruckslos starrt, spielt seine Hand die Melodie des titelgebenden Liedes, als wolle sie noch einmal, kraftlos sich gegen diesen Kopf stemmend, kläglich jene Sehnsucht und jenes Verlangen heraufbeschwören, welches in diesem keimfreien Wesen längst durch Musik - oder: die Fabrikation von Musik - ersetzt worden ist. Die Kamera schwebt bedächtig auf den Kopf zu, als müsse sie sich selbst davon überzeugen, dass dieser nun gar nicht weiß, was die Hand da tut.







Später wird den Kopf noch einmal so etwas wie Entschlossenheit packen - das Mädchen, von dem er in einvernehmlichem, vernunftbedingten Verzicht geschieden ist (Silvia hierzu: "Man hat den Eindruck, das Mädchen ist am Ende völlig gebrochen und ausgezehrt von der fortwährenden Entsagung und quasi tot."), zurückzuholen. Wie grimmig er die Straßenlichter über und an seinem Gesicht vorbeihuschen lässt - so könnte er auch auf dem Weg zu einer Vendetta sein. Oder aber: einen Verbrecher zu stellen. Diese Vorstellung besitzt beinahe mehr Reiz als der Film selbst (natürlich vor allem, weil dieser Mann immer noch jener unheimliche Hans Holt ist).



























Ich habe in den letzten Wochen mehrmals von einem sogenannten "Gartenlaube-Stil" gelesen, in Kurzkritiken des "Filmdienst" zu Heimatfilmen (ein solcher ist WENN DIE ABENDGLOCKEN LÄUTEN allerdings nicht ganz). Obwohl ich anhand des vorliegenden Beispiels nicht eruieren konnte, was man sich darunter vorstellen darf, hat die graue Eminenz nicht ganz unrecht, wenn sie meint, dass "die verlogene Moral und die angestaubten sozialen Ansichten" von einem "hoffnungslos veralteten Film" zeugen. Ich würde diesen hoffnungslos veralteten Film sofort in einem Doppelprogramm mit ROSEN BLÜHEN AUF DEM HEIDEGRAB oder HEISSE ERNTE von Hans H. König zeigen, gälte es, am lebenden (sofern diese Abendglocken noch leben) Objekt zu demonstrieren, welche Welten zwischen einzelnen Filmen dieser heute von rückwirkender Pauschalisierung vereinnahmten Spielart liegen können. So schnell wird man damit nicht fertig, und auch ich werde damit so schnell nicht fertig sein, trotz spät läutender Abendglocken im elusiven "Gartenlaube-Stil". Ich stelle mir darunter nun instinktiv Filme vor, die man erst unter einer zentimeterdicken Staubschicht auf einem imaginären Dachboden finden kann, die die Zeit nicht verweilen ließ, weil sie sich schon bald selbst schämte, was sie aus ihnen gemacht hatte.

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